Wie kaum ein anderes Gebäude prägte die Deutsche Botschaft in Prag die mittlerweile
20 Jahre währende gemeinsame Deutsch-Deutsche Geschichte.
Im August des Jahres 1989 flüchteten DDR-Bürger, unter ihnen auch die Künstlerin
Simone Heupgen, auf das Botschaftsgelände und hofften tagelang auf eine Ausreisegenehmigung
in die Bundesrepublik Deutschland. Jedoch waren diese erwartungsvollen Menschen nicht
die ersten Flüchtlinge des DDR-Regimes: Bereits seit dem Jahr 1974 versuchten etliche
Personen über die Botschaft den Westen zu erreichen. Ihre Versuche waren jedoch nicht
von
Erfolg gekrönt, da sie von einem Unterhändler der DDR freigekauft wurden.
Mehr Glück hatten die Flüchtlinge des Jahres 1989. Simone Heupgen erinnert sich an
die erste Zeit, als nur um die hundert Menschen vor der Botschaft campierten: Das
Wetter war zu Beginn der Besetzung gut und die Bundeswehr versorgte die Flüchtlinge.
Mit den Tschechen wurde Handel betrieben und noch nahm niemand Notiz von den Vorgängen
hinter den hohen Zäunen der
Botschaft. Erst als einige Fernsehsender auf die Botschafts-Flüchtlinge
aufmerksam wurden, kamen weitere DDR-Bürger und nun blickte die ganze
Welt auf das Palais Lobkowicz auf der Prager Kleinseite. Rund um die Botschaft standen
bald zahlreiche Fahrzeuge der ostdeutschen Marken Wartburg und Trabant und im Laufe
des von schlechten Wetter geprägten Septembers verkomplizierte sich die Lage auf
dem Botschaftsgelände weiter: Die wenigen sanitären Einrichtungen und die Langeweile
machte den Menschen zu schaffen. Die neue, wenn auch unfreiwillige Lieblingstätigkeit
der Flüchtlinge wurde das Anstehen vor den Toiletten und der stete Kampf gegen Matsch
und Nässe. Mittlerweile hielten sich mehrere Tausend Menschen im Park des Palais‘
Lobkowicz auf. Am Abend des 30. Septembers 1989 traf schließlich der Bundesaußenminister
Hans-Dietrich Genscher auf dem Botschaftsgelände ein und sprach vom Balkon des Palais‘
den kurzen, im Beifall der Flüchtlinge untergegangenen Satz: „Liebe Landsleute, wir
sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise [an dieser
Stelle wird Genscher vom Jubel der Menschen unterbrochen] … in die Bundesrepublik
Deutschland möglich geworden ist.“ Schon bald startete in Prag ein überfüllter Zug
in Richtung der Deutsch-Deutschen Grenze. Die letzte Fahrt in Richtung Freiheit führte
die Flüchtlinge über Dresden, Freiberg, Chemnitz und Plauen nach Hof. Diese Zugfahrt
ist Simone Heupgen am deutlichsten in Erinnerung geblieben und wird es noch ewig
sein: Nach Stunden des Zusammengepferchtseins ratterte der Zug über die Grenze. Die
grimmig dreinblickenden Soldaten mit ihren geladenen Maschinengewehren, der abweisende
Stacheldrahtzaun mit seinen bedrohlichen Dornen und die Grenze selbst haben sich
tief in das Gedächtnis der Künstlerin gegraben und inspirierten sie zu ihrem Werk.
Die heute verrosteten Schienen in die Freiheit dürfen nicht in Vergessenheit geraten,
denn sie symbolisieren den Mut und die Courage von vielen einzelnen Menschen und
das zerbrechliche Gut Demokratie. In krassem Widerspruch steht der aufgerollte Stacheldraht
- denn trotzdem er ordentlich um eine Spule gelegt wurde, versprüht er auch in diesem
Zustand eine Aura von Bedrohlichkeit. Wie einschüchternd muss dieser Zaun erst auf
die DDR-Flüchtlinge gewirkt haben? Für die Kinder der Wendezeit nur schwer vorstellbar,
vermittelt Simone Heupgens Arbeit eindringlich das Schutzbedürfnis der Demokratie,
das man auch in den mittlerweile recht
sicheren Zeiten nicht vergessen darf. Denn wie viele Menschen leiden auch heute noch
unter grausamen Diktaturen und wünschten sich nichts sehnlicher als den schlammigen
Garten einer Botschaft und einen überfüllten Zug mit Kurs auf die Freiheit?
Almuth Müller, Berlin 2009
200 x 200 cm Installation, 2009, oxidierte Schienen, Holz, NVA-Stacheldraht